Stellungnahme des AK Straffälligen- und Opferhilfe zum Koalitionsvertrag 2023 – 2026
Die Mitgliedsorganisationen der Straffälligen- und Opferhilfe im Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin unterstützen sowohl Opfer und Zeugen von Straftaten als auch straffällig gewordene Menschen und ihre Angehörigen innerhalb und außerhalb der Berliner Gefängnisse. Mit gewaltpräventiven Angeboten tragen sie dazu bei, dass Täter nicht erneut straffällig werden und leisten damit einen aktiven Beitrag zum Opferschutz. Zu den für uns besonders relevanten Aspekten im aktuellen Koalitionsvertrag möchten wir in diesem Positionspapier Stellung nehmen.
Justizvollzug und Haftvermeidung
Expert*innen aus der Wissenschaft und dem Justizvollzug sind sich ebenso wie die Bundesregierung mit ihren aktuellen Gesetzesvorhaben darüber einig, dass Ersatzfreiheitsstrafen weitestgehend zu vermeiden sind. Hierfür liegen bereits zahlreiche Reformvorschläge vor. Neben der Entkriminalisierung des § 265 a StGB („Erschleichen von Leistungen“) soll die zu verhängende Geldstrafe an der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Person bemessen werden. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene „ tat- und schuldangemessene“ Tagessatzhöhe von Geldstrafen verkennt deren Prinzip: Die Feststellung der Anzahl der Tagessätze zielt auf den gerechten Schuldausgleich. Die Höhe des Tagessatzes ist laut Gesetzgeber und Rechtsprechung hiervon zu trennen und richtet sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters. Hier sind sich die Expert*innen einig, dass unangemessen hohe Tagessätze vermieden werden sollten. Anderenfalls wird die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafer*innen in den Berliner Haftanstalten weiter steigen und die täglichen Kosten für einen Haftplatz von über 200 Euro werden den Berliner Landeshaushalt zusätzlich belasten.
Der Koalitionsvertrag fokussiert stark auf die Erhöhung der Sicherheit im Justizvollzug. Dies irritiert uns sehr, zumal es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Sicherheit in den Berliner Gefängnissen aktuell grundsätzlich gefährdet ist. Dass die Resozialisierung von Straftäter*innen gestärkt werden soll, entspricht dem Landesstrafvollzugsgesetz und ist das Ziel vielfältiger Behandlungsmaßnahmen während der Haft. Die weitere Stärkung ist zu begrüßen – wir vermissen jedoch konkrete Umsetzungsvorschläge.
Neben Maßnahmen im Bereich Übergangsmanagement setzen die freien Träger der Straffälligenhilfe eine Vielzahl weiterer resozialisierungsfördernder Maßnahmen während und nach der Haft um. Sie müssen daher konsequent gestärkt und finanziell angemessen ausgestattet werden.
Nicht zuletzt bedauern wir sehr, dass die Kinder und Familien von inhaftierten Menschen im Koalitionsvertrag nicht berücksichtigt worden sind. Bei ihnen handelt es sich um eine besonders vulnerable Gruppe, die spezieller Unterstützung bedarf. Die in den vergangenen Jahren in Berlin mit großem Engagement geschaffenen Angebote müssen aufgrund des nachgewiesenen hohen Bedarfes ausgeweitet und nachhaltig finanziert werden.
Opferhilfe
Im Koalitionsvertrag fehlen Ausführungen zu dem aktuell erarbeiteten Landesopferschutzgesetz (UB§G). Damit sollen Opfer von Straftaten im Land Berlin zukünftig einen Rechtsanspruch auf Beratungs- und Unterstützungsleistungen haben. Dieses wichtige Vorhaben muss von der Koalition weitergeführt werden! Um Geschädigte bedarfsgerecht unterstützen zu können, ist das bestehende Hilfesystem zu stärken und auszubauen.
Gewaltschutz
Wir begrüßen es, dass sich das Land Berlin auch weiterhin für die Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen einsetzen wird. Den beabsichtigten Ausbau von Frauenhausplätzen und Krisenwohnungen begrüßen wir ebenfalls sehr. Zusätzlich müssen Zufluchtsplätze für gewaltbetroffene Männer und LSBT*Q-Personen geschaffen werden.
Die laut Istanbul-Konvention zu ergreifenden Maßnahmen betreffen nicht nur die Unterstützung von Opfern von Gewalt. Die Konvention umfasst die Arbeit mit Täter*innen als integralen Bestandteil der Maßnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Dass die Täterarbeit im Koalitionsvertrag mitgedacht wird, ist daher zu begrüßen. Hinzuweisen ist auf den aktuell eklatanten Mangel an Angeboten in diesem Bereich. Massive Versorgungslücken bestehen sowohl
im Hinblick auf häusliche als auch auf sexuelle Gewalt. Um künftige Fälle möglichst zu verhindern, muss das bestehende Angebot deutlich ausgeweitet werden.