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  • Veröffentlichungsdatum 14.03.2022

Jugendliche und ihre erste eigene Wohnung

Serie: Bezahlbare Wohn- und Gewerbemieten sichern ein soziales Berlin!

Treffpunkt Betreutes Jugendwohnen Verbund Spandau. © Jugendwohnen im Kiez – Jugendhilfe gGmbH

Serie: Bezahlbare Wohn- und Gewerbemieten sichern ein soziales Berlin! Wie das gelingen kann, zeigen Modellprojekte und Kooperationen von Mitgliedern des Paritätischen Berlin.

Heute: Die Jugendwohnen im Kiez – Jugendhilfe gGmbH unterstützt junge Menschen beim Übergang in die Selbstständigkeit

Für die Jugendwohnen im Kiez – Jugendhilfe gGmbH steht die sogenannte Verselbständigung junger Menschen in eigenem Mietwohnraum im Fokus. 2018 startete der Träger das Modellprojekt Transfer, ein Careleaver-Projekt in Kooperation mit der Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH und dem Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg. Junge Menschen, die aus dem betreuten Wohnen kommen, übernehmen hier nach einjährigem Probewohnen und Absolvieren des Wohnführerscheins ihre erste Mietwohnung. Was nötig ist, damit dies gelingt erläutert die Geschäftsführung von Jugendwohnen im Kiez, Susanne Birk und Klaus-Peter Dilger, im Interview.

Haben junge Menschen aus der Jugendhilfe in Berlin aktuell eine Chance in einer eigenen Wohnung ein selbständiges Leben zu starten?

Klaus-Peter Dilger: Junge Menschen aus der Jugendhilfe, sogenannte Careleaver, waren schon immer benachteiligt in Konkurrenz zu anderen auf dem freien Wohnungsmarkt. Das spitzt sich in der aktuellen Wohnungssituation zu. Noch schwieriger ist es für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Im neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das seit Juni gilt, steht: Junge Menschen haben ein Recht auf eigenständiges und selbstbestimmtes Leben. Dazu gehört aus unserer Sicht definitiv, dass am Ende der Jugendhilfe eine eigene Wohnung steht. Es gibt aus unserer Sicht quasi einen Rechtsanspruch für junge Menschen auf eine eigene Wohnung. Es ist schwierig, und dennoch gelingt es Beraterinnen und Beratern mit den jungen Menschen gemeinsam immer wieder auch Wege zu finden aus der Jugendhilfe heraus und für Carelaever eigenen Wohnraum zu beschaffen.

Susanne Birk: Früher war es für uns als freier Träger relativ einfach, Wohnraum in der Stadt anzumieten. Dieser wurde dann an die Jugendlichen weitervermietet. Sie mussten ihre Wohnungen im betreuten Jugendwohnen nicht verlassen, sondern konnten wohnen bleiben. Das hat sich kolossal verändert. In Zeiten verknappten Wohnraums behalten wir die Wohnungen für das betreute Jugendwohnen selbst und die Beraterinnen und Berater müssen Wohnraum in der Stadt suchen.“

Wie gelingt es, den Übergang in die Selbstständigkeit erfolgreich zu gestalten?

Dilger: Es ist notwendig, dass in den Hilfen ein gutes Verhältnis in der Hilfeplanung zwischen Jugendamt, jungen Menschen und uns als Träger besteht. Häufig sind unsere jungen Menschen unter Druck, wenn sie über 18 sind. Die Jugendhilfe soll bald enden. Kombiniert mit der Situation auf dem Wohnungsmarkt, wo die Wohnungssuche Zeit und Energie kostet, ist das ein Druck, der auf der Hilfe lastet, weshalb eine gute Kooperation und auch ein Verständnis für die Situation notwendig sind.

Unsere Beraterinnen und Berater können sich nicht darauf verlassen, dass sie auf dem Wohnungsmarkt Wohnungen finden, sie müssen kreative Methoden anwenden: Wohngemeinschaften, die die jungen Leute selbst gründen, Ressourcen in der Familie und im erweiterten Familienkreis auftun. Das sind Wirkfaktoren, die sehr wichtig sind.

Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sagt sehr deutlich, dass, wenn Bedarf da ist, auch Hilfen über 18 bis zum 21. Lebensjahr weitergeführt werden sollen und zwar regelhaft.

Birk: Es ist wichtig, dass den jungen Leuten Zeit gegeben wird. Sie haben schwierige Lebensbedingungen in ihren Familien gehabt, sonst wären sie nicht in der Jugendhilfe. Sie brauchen häufig Zeit um nachzureifen. Ich erinnere mich sehr gut an ein Gespräch bei unserer 40-Jahre-Feier, wo ein mittlerweile erwachsener Mann auf der Bühne interviewt wurde. Er sagte: „Wäre ich mit 18 aus der Jugendhilfe entlassen worden, wäre ich als Kind entlassen worden.“

Was sind die Herausforderungen und die Stolpersteine?

Birk: Die Erwartung ist, dass mit Älterwerden mehr Selbständigkeit vorhanden und weniger Betreuung notwendig ist. Zum Teil werden aber mehr Betreuungsstunden benötigt, um mit den jungen Leuten zu Wohnungsbaugesellschaften zu ´tingeln´ und sich persönlich vorzustellen.

Dilger: Carelaever haben eine besondere Wohnungsnotlage, weil sie am Ende ihrer Jugendhilfe den Wohnraum bei uns als freien Träger verlieren. Die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die volljährig werden und zum Teil eine sehr erfolgreiche Jugendhilfe hinter sich haben, müssen oft wieder in Sammelunterkünfte zurück, obwohl sie sich selber ein Leben aufgebaut haben. Das ist dramatisch. Es wird viel Geld investiert in die Jugendhilfe. Gerechtfertigt, weil 70 bis 80 Prozent der Hilfen gut gelingen. Sie werden durch fehlenden Wohnraum leider wieder in Frage gestellt beziehungsweise gefährdet.

Wie ist die Situation in der Stadt und was sollte Politik gestalten?

Birk: Im Koalitionsvertrag werden Hilfen für Careleaver hervorgehoben. Auch das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz betont die Partizipation der jungen Leute. Wir brauchen politische Rahmenbedingungen, Kontingente für junge Leute in dieser Stadt. Mitten in der Stadt, nicht am Rand. Gemischt, nicht in Silos, wo nur Jugendliche oder benachteiligte Menschen wohnen.

Dilger: Das Kinder- und Jugendstärkegesetz hat einen neuen Paragrafen eingeführt: §41a für Careleaver, der speziell diesen Übergang, den wir als Nachbetreuung sehen, unter einen eigenen Gesetzesanspruch stellt. Es zeigt, dass der Gesetzgeber das sehr gut verstanden hat.

Konkret von der Politik wünschen wir uns, dass Grundstücke für Genossenschaften zur Verfügung gestellt und Förderprogramme, die günstiges Bauen ermöglichen, aufgelegt werden. Dass Carelaever als besonders vulnerable Gruppe auf dem Wohnungsmarkt Berücksichtigung finden, nicht erst als Wohnungslose. Und dass innerhalb des Marktsegments Wohnraum zur Verfügung gestellt wird beziehungsweise innerhalb der sozialen Wohnungsbaugesellschaften bestimmte Kontingente an Carelaever gehen. So wie das bei Transfer der Fall ist. Aber in einem verbindlicheren Rahmen.

Birk: Es ist ein Win-Win. Die freie Wohnungswirtschaft müsste zehn Prozent der Wohnungen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, an Wohnungslose abgeben und an diese einzeln vermieten. Wir als Träger würden die Vermarktung der Wohnungen übernehmen und Wohnraum sozialverträglich mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern Carelaevern zur Verfügung stellen. Zunächst für den Übergang, nach erfolgreichem Probewohnen auch zur Miete.

Was sind erfolgreiche Modelle der Wohnraumbeschaffung?

Dilger: Wir als Träger haben es geschafft, ein Modellprojekt mit der Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH in Neukölln zu realisieren. Die Wohnbaugesellschaft stellt uns jährlich ein bestimmtes Kontingent an 1-Zimmer-Wohnungen bereit. Carelaever übernehmen nach erfolgreichem Probewohnen die Mietwohnung. Das ist ein sinnführendes Projekt, das Schule machen könnte. Verschiedene Wohnbaugesellschaften sollten aufgefordert oder ermuntert werden in Kooperation mit Trägern zu treten.

Birk: Jugendwohnen gelingt es immer wieder mit Investoren, mit Genossenschaften, wie der Genius e. G., in der sich viele Paritätische Träger zusammengeschlossen haben, Wohnraum in der Stadt zu generieren. Wir könnten als Makler für Wohnraum für junge Menschen in der Stadt eine Rolle spielen. Bisher gibt es aber keine Finanzierungskonzepte, wie der Aufwand als Wohnraumüberlasser, der nicht unmittelba mit Betreuung zusammenhängt, honoriert wird.

"Alltag" ist ein Bauprojekt, an dem verschiedene Gesundheits-, Jugend-, Nachbarschaftsprojekte zusammengebaut haben. Mit einem Zuschuss aus SIWA (Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt) war man in der Lage, Wohnraum und Gewerberaum für soziale Träger zur Verfügung zu stellen, der bezahlbar ist. Wir brauchen auch Gewerberäume für Büros, Jugendhilfestationen und das Betreutes Jugendwohnen. Gewerbeverträge sind aber teuer, da sie nicht gebunden sind. Solche Formen von Genossenschaften und auch Bezuschussungen, um preiswert zu bauen, sind politisch wichtig.“

Aufgezeichnet von Katharina Dressel, Jugendwohnen im Kiez e. V.

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