Der Krieg und die Folgen für alle
Ukraine-Krieg und Migration
Am 24. Februar 2022 hat die russische Armee die Ukraine angegriffen. Wir verurteilen den Angriff auf die Ukraine und auf die Menschen dort aufs Schärfste. Unsere Mitglieder und wir als Verband tun alles, um die zu unterstützen, die bei uns Schutz und Sicherheit suchen. Ihnen gehören unsere Hilfe und ganze Solidarität. Dabei lassen wir uns nicht spalten und stehen gemeinsam nach innen und nach außen für unsere Werte: Offenheit, Vielfalt, Toleranz.
Berlin macht es besser als 2015
Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflüchtet, ein Teil davon auch nach Berlin. Bis zu 13.000 ankommende Menschen pro Tag wurden gezählt, seit Mitte April sind es etwa 2.000 pro Tag. Anfangs sind sehr viele von ihnen privat untergekommen. Andere werden vom Land untergebracht – und statt die formal zuständigen Bezirke damit allein zu lassen, hatte das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) die Unterbringung für die geflüchteten Menschen übernommen. Das Land Berlin hat offensichtlich aus der Krise 2015 gelernt: Die Behörden handeln schneller und koordinierter. Die zentrale Steuerung über die Senatskanzlei ist hilfreich.
In Schichten helfen Ehren- und Hauptamtliche am Hauptbahnhof, am ZOB, am Bahnhof Südkreuz, im „Ukraine Ankunftszentrum“ im ehemaligen Flughafen Tegel. Zwischen den Ankunfts- und Meldeorten fahren Shuttlebusse der BVG, die Deutsche Bahn gibt Fahrscheine für die Weiterreise zu anderen Orten aus.
Auch unsere Mitgliedsorganisationen und viele freiwillig engagierte Berlinerinnen und Berliner versorgen Flüchtende zum Beispiel mit Essen, einer Unterkunft oder Informationen.
Auf unserer Onlineplattform „socialmap berlin – Paritätischer Wegweiser für soziale Angebote“ haben wir die neue Kategorie „Nothilfe für Geflüchtete“ eingerichtet. Hier können Mitgliedsorganisationen ihre Angebote eintragen, die sich an unmittelbar geflüchtete Menschen richten, insbesondere auch an geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Das betrifft etwa Angebote zur Asyl- und Rechtsberatung.
Hilfreich auch: Die meisten Geflüchteten können für 90 Tage visumfrei einreisen. Die Europäische Union hat erstmals die sogenannte „Massenzustrom-Richtlinie“ aktiviert. Sie gewährt einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus mit weitreichenden Rechten für Bürgerkriegsflüchtlinge sowie eine Verteilung geflüchteter Menschen innerhalb Europas. Dazu gehört etwa das Recht zu arbeiten. Gleichwohl machen wir darauf aufmerksam, dass es viele Geflüchtete gibt, die bereits Jahre in unserem Land leben. Auch für sie sollte ein baldiger, ebenfalls erleichterter Zugang zu Arbeit möglich sein.
Das erste Fazit fällt insgesamt positiv aus: Berlin und alle Akteure gemeinsam leisten hier wieder einmal Außergewöhnliches.
Die nächsten Schritte
Die erste Phase – die große Zahl Geflüchteter aufzunehmen – liegt hinter uns. Wir sind in Phase zwei und müssen sehen: Was brauchen sie nun hier? Wie erhalten diese Menschen notwendige Leistungen, wie erhalten sie Arbeit, wie kommen sie in Ausbildung? Wir können wir ihre Vorkenntnisse und unsere Bedarfe zusammenbringen? Anders als im Jahr 2015, als vorwiegend Jugendliche und junge Männer als Geflüchtete aus Syrien nach Deutschland kamen, sind seit Februar 2022 viele junge Frauen mit ihren Müttern und Kindern angekommen. Viele Frauen sind gut qualifiziert. Für sie müssen gezielt Angebote gemacht werden. Kreative Ansätze sind gefragt; im Bereich Kita ist eine Vereinbarung schnell gefunden worden, sie erlaubt den Einsatz ukrainischer Fachkräfte seit dem 1. April.
Eine intensive, besondere Betreuung ist nötig für Menschen mit Teilhabe- beziehungsweise Pflegebedarf. Hier hat zum Beispiel unter Mitglied Volkssolidarität Berlin mehrere Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims aus Charkiw in zwei Senioreneinrichtungen seiner Tochtergesellschaft Paritätisches Seniorenwohnen aufgenommen. Unter den evakuierten Menschen sind auch Holocaustüberlebende.
Jetzt ist zu klären: Wie gelangen Geflüchtete an Leistungen zur Pflege, zur Eingliederungshilfe, wer betreut junge Menschen ohne Eltern? Hier brauchen wir die Bereitschaft und Kapazität des Landes, auf unsere Angebote für Unterkunft, Betreuung und Beratung einzugehen und konkrete Vereinbarungen abzuschließen – denn die Angebote liegen vor.
In unserem Arbeitsvermittlungsprojekt Work for Refugees, das Geflüchtete und Unternehmen in Berlin zusammenbringt, gibt es nun eine Ansprechpartnerin für Ukrainerinnen und Ukrainer.
Im Alltag werden Unterschiede deutlich, für die es Lösungen zu finden gilt. Ein Beispiel: Während in der Ukraine Heimkinder teilweise noch in Schlafsälen übernachten, setzt Deutschland vorwiegend auf ambulante Betreuungen durch Pflegeeltern.
Und wir dürfen nicht vergessen: Wer zuerst kam, kam unversehrt, vielleicht noch mit etwas Hab und Gut. Wer später kam, bringt Kriegserfahrungen und extreme Belastungen mit. Viele unserer Mitglieder, Nachbarschafts- und Stadtteilzentren boten schon in den ersten Märzwochen offene Treffs, psychosoziale Beratungen oder Sprachcafés an.
Langfristige Kriegsfolgen für uns alle
Auch innerhalb unserer Ankunftsgesellschaft verändert der Krieg unser aller Leben: So steigen etwa Gas- und Spritpreise. Wie gelingt es Menschen mit geringem Einkommen – Geringverdienern, einem Teil der Alleinerziehenden, einem Teil der Rentner – über die Runden zu kommen? Wer gerade etwas mehr Geld verdient oder Einkommen hat, als für einen Wohnberechtigungsschein nötig ist, spürt das. Sozialberatungen verzeichnen einen verstärkten Beratungsbedarf. Wir müssen also alle Menschen und auch zeitverzögerte Wirkungen mitbedenken.
Ein weiter, nicht nur enger und fokussierter Blick, ist angebracht: Nach wie vor hat Berlin obdachlose Menschen, der Wohnraummangel verschärft sich, es fehlen Mitarbeitende in Kitas, Schulen und in der Pflege – all diese Herausforderungen, die es vor dem Kriegsbeginn gab, gibt es immer noch.
Bei allem Dringlichen durch den Krieg – wir dürfen auch das Wichtige nicht vergessen: Dass alle Menschen in Berlin auskömmlich leben können. Unsere Vorschläge dazu sind vielfältig: das Wohngeld für Menschen mit geringem Einkommen und Renten erhöhen, die Regelsätze von Sozialleistungen erhöhen, Hilfen im Einzelfall bieten, die Finanzierung der Sozialberatungen sichern, zügiger Wohnungsneubau, ausreichende Ansprechpartner in der Verwaltung und – gegen den Fachkräftemangel – attraktive Gehälter auch für Mitarbeitende in Kitas, in Schulen und in der Pflege.
Dieser Krieg richtet sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen unser Verständnis eines Zusammenlebens überhaupt. Das nehmen wir nicht hin und setzen uns uneingeschränkt für ein demokratisches und menschliches Europa ein. Wir machen uns stark für Zusammenhalt, Vielfalt und Demokratie und stehen vereint, unabhängig von der Herkunft der Menschen! Das macht eine starke Zivilgesellschaft aus. Allen Kritiken zum Trotz ist es sehr beeindruckend, was die Stadt und ihre Menschen (zusätzlich) zu leisten im Stande sind.
Hilfsangebote auf unserer Website
Informations- und Hilfsangebote aus dem Paritätischen Netzwerk stellen wir auf unserer Website vor, darunter:
- häufig gestellte Fragen (FAQ) für Helfende
- Angebote unserer Mitglieder für Geflüchtete auf der Online-Plattform socialmap berlin wie Asyl- und Rechtsberatung (neue Kategorie: Nothilfe) oder auch reguläre Angebote, die erweitert werden wie Sprachcafés, Kinderbetreuung, Selbsthilfe-Angebote
- Infos zu Geldspenden, etwa für Versorgung, Evakuierung und Unterbringung Geflüchteter
- Infos zur medizinischen Versorgung
- Infos zur psychosozialen Beratung
- die "Dolmetsch-Nothilfe: Ukrainisch" bei medizinischen Notfällen von Triaphon
- einen Hinweis über Engagementmöglichkeiten bei Berliner Freiwilligenagenturen
- Treffpunkte für Geflüchtete etwa in Stadtteilzentren und Nachbarschaftseinrichtungen
- In unserem Arbeitsvermittlungsprojekt Work for Refugees gibt es nun eine Ansprechpartnerin für Ukrainerinnen/Ukrainer
Dieser Beitrag ist entnommen aus unserem Paritätischen Rundbrief 2 2022.