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  • Organisation Viele Fragezeichen zu den Verhandlungen rund um den neuen Berliner Rahmenvertrag
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  • Veröffentlichungsdatum 20.09.2024

Stellungnahme des Paritätischen Berlin auf die Antwort des Senats zur schriftlichen Anfrage von Björn Wohlert (CDU) und Lars Düsterhöft (SPD)

Viele Fragezeichen zu den Verhandlungen rund um den neuen Berliner Rahmenvertrag

Stellungnahme des Paritätischen Berlin © Paritätischer Berlin

Wie der Senat, sieht der Paritätische Berlin die Notwendigkeit von Veränderungen und Anpassungen der Leistungen der Eingliederungshilfe im Zuge der BTHG Reform.
Der Aussage, das heutige Leistungssystem der Eingliederungshilfe in Berlin würde die Anforderungen an eine personenzentrierte Leistungserbringung, an das Wunsch- und Wahlrecht und die Entscheidungsfreiheit der Leistungsberechtigten per se nicht erfüllen, folgen wir nicht. Diese Behauptung stimmt in weiten Teilen nicht mit der Praxis überein. Bereits heute kann eine leistungsberechtigte Person darüber entscheiden, wann sie welche Leistungen in Anspruch nehmen möchte und wie flexibel diese erbracht werden.
„Das System“ der Eingliederungshilfe existiert heute in Berlin nicht. Es gibt vielmehr unterschiedlichste sog. Leistungstypen, von denen ein Teil in den bislang vorgegeben Leistungsstrukturen nicht den Vorgaben des SGB IX entsprechen. Andere wiederum sind ein in der Bedarfsermittlung und -planung personenzentriertes System, schon lange bevor Deutschland die UN-BRK ratifiziert hat. Hohe fachliche Standards haben die Fachwelt nach Berlin blicken lassen und es erstaunt nicht, dass sich in anderen Bundesländern Systeme entwickeln, die diesen Leistungstypen in Berlin entsprechen.
Die Aussage, die Eingliederungshilfe in Berlin sei heute nicht personenzentriert, ist ein Affront gegen die unzähligen Fachkräfte. Sie erbringen Tag für Tag Leistungen für Menschen mit Behinderungen, beschäftigen sich seit der Verabschiedung des BTHG mit der durch die
UN-BRK geforderten Haltungsänderung, stoßen Organisationsentwicklungsprozesse für und gemeinsam mit den leistungsberechtigten Menschen an und bilden sich in zahlreichen Weiterbildungen fort.
Vor diesem Hintergrund haben die Verbände bereits im vergangenen Jahr ein Modell für die Assistenzleistung vorgelegt, welches die unterschiedlichen Leistungstypen im Bereich Wohnen abschafft und ein System organisiert, das die Vorgaben des Gesetzes in den vereinbarten Rahmenbedingungen in die Praxis umsetzt. Darüber hinaus hat der Paritätische ein Modell für Trägerbudgets entwickelt und mit dem Land an unterschiedlichsten Stellen diskutiert. Dieses kann die Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe steuern und dennoch den Leistungsberechtigten die Teilhabeleistungen flexibel ermöglichen, die sie benötigen und sich wünschen.
Unabhängig von den Modellen war dabei immer die Forderung, dass der heutige Leistungsumfang, der als Bedarf bei einer einzelnen Person festgestellt wurde, erhalten bleibt. Allein durch die Umstellung auf das neue System der Assistenzleistung darf es keine Absenkungen der zur Verfügung gestellten Personalressourcen geben. Die leistungs-berechtigten Menschen brauchen Sicherheit und eine klare Zusage des Landes.
Das Land Berlin möchte solch einem Committment einer budgetneutralen Umstellung nicht zustimmen und unterstellt stattdessen, mit dieser Forderung lediglich das „alte System“ fortsetzen zu wollen. Bis heute liegt keine Aussage des Landes vor, mit welchen Auswirkungen die Leistungsberechtigten durch die Systemumstellung rechnen müssen, einzig und allein wird immer wieder betont, dass es Transparenz über die Höhe der Leistung geben wird. Eine Zusage, dass Leistungen im Umfang mindestens gleich bleiben, gibt es vom Land nicht.
In seiner Antwort adressiert der Berliner Senat die „tatsächlich beispielhafte Bedarfsfeststellung über das Teilhabeinstrument Berlin (TIB) und die Ziel- und Leistungsplanung (ZLP)“. Er ignoriert dabei die in weiten Teilen mangelhafte Umsetzung dieser Verfahren. Mit der Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 19/20011 vom 15. August 2024 über Fachkräftesicherung bei den Teilhabefachdiensten wird deutlich, dass von den 578,49 Stellen in den Teilhabefachdiensten nur 83% besetzt sind. Diese zudem einer hohen Fluktuation unterliegen und der Anteil der Fachkräfte mit sozialpädagogischem /sozialarbeiterischem Hintergrund bei lediglich 12,5% liegt. Wenn das Land Berlin nun mit seiner beabsichtigten Leistungs- und Vergütungsstruktur „konsequent“ an die Ergebnisse dieser Bedarfsfeststellung anknüpfen will, muss dies beunruhigen. Es stellt sich die Frage, wie das Land Berlin den gesetzlichen Vorgaben an die Fachlichkeit seiner eigenen Mitarbeitenden gerecht werden wird. Leistungsberechtigte Menschen mit Behinderung sind zu 100 Prozent abhängig von den Entscheidungen der bezirklichen Teilhabefachdienste!
Aus fachlichen Gründen befürchtet der Paritätische Berlin, dass die geforderte Systematik der Fachleistungsstunde sowohl die Qualität als auch den Umfang der Teilhabeleistungen erheblich einschränken wird. Alle Aufgaben, Ausführungen und Tätigkeiten, die nicht explizit in der Ziel- und Leistungsplanung und in direktem Zusammenhang mit spezifischen Zielen und Vorgehen festgelegt werden, könnten dann nicht mehr erbracht werden. Es wären keine Gespräche, keine Unternehmungen und damit keine Assistenzleistungen mehr möglich, die nicht explizit mit Inhalten in konkreten Fachleistungsstunden hinterlegt sind. Und dies, obwohl Spontanität, Unvorhergesehenes und Ungeplantes in aller unser Leben Alltag sind, mit oder ohne Behinderung! Unsere große Sorge ist, dass dadurch faktisch weniger Leistungen zur Teilhabe mit deutlich weniger Flexibilität erbracht werden könnten. In seinen Antworten zu 3., 5. und 11. unterstellt der Senat indirekt, die Leistungserbringer würden am bisherigen Tagessatzsystem festhalten, um finanzierte Leistungen nicht oder nicht für Assistenzleistungen zu erbringen. Diese Unterstellung weist der Paritätische Berlin mit Entschiedenheit zurück!
Sie passt sich ein, in eine von den Leistungserbringern zunehmend als diffamierend empfundene Stimmungsmache gegen die Leistungen der Eingliederungshilfe. Dies ist kein Zufall, da die Einschränkung des Umfangs der Leistungen zur Teilhabe selbstverständlich zu enormen Kosteneinsparungen im Bereich der Eingliederungshilfe führen würde, welche vom Berliner Senat explizit angestrebt wird. Wenn von Kürzungen in Höhe von 30% fabuliert wird, muss jedem deutlich sein, dass bei einem Kostenanteil von rd. 80 bis 85% Personalkosten
Einsparungen in den Ausgaben vor allem durch Kürzungen des Leistungsumfangs zu erreichen sein werden. Dies wird nicht durch eine „Systemumstellung“ verdeckt werden können.


Berlin, den 19.09.2024

Ansprechpartner

Uwe Brohl-Zubert
Referent Soziale Psychiatrie/ Queere Lebensweisen
Telefon: 030 86 001-555
E-Mail: brohl-zubert[at]paritaet-berlin.de
Regina Schödl
Referentin Eingliederungshilfe und Soziale Teilhabe
Telefon: 030 86 001-171
E-Mail: schoedl[at]paritaet-berlin.de