•   Rubrik Bericht

Nachbarschaftsheim Schöneberg: Angebote für das ganze Leben

  • Autor Dominique Hensel
  • Veröffentlichungsdatum 25. April 2025
  • Lesezeit 11 Minuten

Fast gleich alt sind der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin und das Nachbarschaftsheim Schöneberg. Doch während der vielfältige Sozialträger aus dem Südwesten Berlins seinen 75. Geburtstag im vergangenen Jahr bereits gefeiert hat, steht die Jubiläumsfeier des Paritätischen noch bevor, sie wird im Juni sein. Gleich alt und einen langen Weg zusammen gegangen sind beide Jubilare. Das Nachbarschaftsheim Schöneberg war zur Gründung des Paritätischen 1950 eine der ersten zwölf Mitgliedsorganisationen und ist bis heute im Verband.

Karen Lawerenz und Franziska Lichtenstein © Evamarie König

Der Name Nachbarschaftsheim Schöneberg legt nicht auf den ersten Blick offen, was die Arbeit des freien Sozialträgers ausmacht. Denn dabei handelt es sich weder um ein einzelnes Haus, ein Nachbarschaftsheim, noch um einen Träger, der allein durch Nachbarschaftsarbeit in den Stadtteil wirkt. „Vom Geburtsvorbereitungskurs bis zum Frauenkurs und der Pflege – wir haben eine Angebotspalette für die ganze Lebensspanne“, sagt Geschäftsführerin Franziska Lichtenstein. Der Träger mit seinen 1.100 festen Mitarbeitenden, 300 freien Mitarbeitenden und 1.600 Ehrenamtlichen ist auf vielen sozialen Feldern aktiv. Er betreibt zum Beispiel 23 Kindertagesstätten, setzt Ganztagsbetreuung an Schulen um, betreibt ein Stadtteil- und Familienzentrum, eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete und eine Tochtergesellschaft hat die Angebote im Bereich Pflege übernommen. Das Nachbarschaftsheim Schöneberg ist heute ein breit aufgestellter Sozialträger, eine Anlaufstelle für viele verschiedene Menschen.

Georg Zinner (2. von links) prägte das Nachbarschaftsheim Schöneberg als richtungsweisender Geschäftsführer für 36 Jahre. © Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.

Die Größe des freien Trägers war bei der Gründung am 1. November 1949 keinesfalls geplant. „Wir sind stets am Bedarf gewachsen, der an uns herangetragen wurde“, erzählt Karen Lawerenz, die seit 30 Jahren im Nachbarschaftsheim arbeitet und heute Prokuristin ist. Dieser Bedarf entstand durch äußere Umstände. „Unser langjähriger Geschäftsführer Georg Zinner wollte Angebote machen, die die Nachbarschaft braucht. Er war dabei mutig und innovativ“, sagt Karen Lawerenz. Georg Zinner hat den sozialen Träger über viele Jahre gelenkt und stark geprägt; von 1978 bis zu seinem Tod 2014 war er Geschäftsführer. Beispiele für eine pragmatische Reaktion des Trägers auf die Umstände der Zeit gibt es viele. Als im Rahmen der Spielplatzbewegung in den 1980er Jahren der Wunsch bei den Frauen nach einer Kinderbetreuung aufkam, um selbst arbeiten zu können, entstand die erste Kindertagesstätte des Trägers. Als 2015 die Geflüchteten aus Syrien nach Deutschland kamen, eröffnete das Nachbarschaftsheim eine Unterkunft für geflüchtete Frauen mit Kindern. „Man kann die gesellschaftliche Entwicklung am Nachbarschaftsheim ablesen“, ergänzt Franziska Lichtenstein.

Wo 1949 alles anfing: Erstes Gebäude des Nachbarschaftsheim Schöneberg in der Hedwigstraße © Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.

Die Geschichte des Nachbarschaftsheims begann offiziell 1949. Entstanden ist die Einrichtung aber aus einer Arbeitsgemeinschaft christlicher Frauen, die Nachbarschaftsarbeit auf christlicher Basis machen wollten. So beschreibt Franziska Lichtenstein die Anfänge. In der Nachkriegszeit herrschte ein großer Mangel an allem, zudem waren nach dem Krieg viele Mütter mit Kindern allein geblieben. „Es war eine große Not“, sagt Franziska Lichtenstein. Die Angebote waren damals darauf ausgerichtet, ganz praktische Hilfen zu geben. „Eine Schuster- und eine Nähwerkstatt waren die ersten Einrichtungen“, so die Geschäftsführerin. Ganz bewusst habe man sich damals gegen eine Suppenküche entschieden: „Wir wollen die Menschen nicht von uns abhängig machen. Wir wollen sie unterstützen, sich selbst zu helfen“. Die Hilfe zur Selbsthilfe wurde anfangs ehrenamtlich organisiert, hauptamtliche Mitarbeiter gab es nicht. Das änderte sich erst langsam, für das Jahr 1978 beziffert Franziska Lichtenstein die Anzahl der Hauptamtlichen auf „maximal zehn“.

Bei seinen ersten Schritten konnte das Nachbarschaftsheim Schöneberg auch auf die Unterstützung der amerikanischen Militärregierung bauen. Diese verstand Nachbarschaftszentren als Orte, in denen nach dem Nationalsozialismus Demokratie erlernt werden konnte, und unterstützte sie. Als Orte der Demokratie versteht auch die neue Generation im Nachbarschaftsheim Schöneberg die Einrichtungen und Angebote. Weiter an der Demokratiebildung zu arbeiten, das ist auch nach 75 Jahren noch ein wichtiges Anliegen der Arbeit im Nachbarschaftsheim.

Das heutige Haupthaus des Nachbarschaftsheim Schöneberg in der Holsteinischen Straße © Dominique Hensel

Fragt man nach den Herausforderungen der heutigen Zeit, dann unterscheiden diese sich von denen der Gründungsjahre. „Wir wollen wirtschaftlich unabhängig bleiben, wollen unsere Impulse weiterhin aus dem Bedarf beziehen, wir wollen uns treu bleiben“, sagt Franziska Lichtenstein. Besonders herausfordernd sei dabei, ausreichend Personal für alle Aufgaben zu finden. Weil das so schwer geworden ist, seien inzwischen Angebote in Gefahr: „Wir haben jetzt deswegen eine kleine Kita geschlossen und vor zwei Jahren eine Sozialstation, obwohl beide Angebote gesellschaftlich gefragt sind“. Karen Lawerenz unterstreicht: „Die Frage ist, wie gehen wir mit der Situation um? Das ist eine irre Herausforderung“. Auch die wachsende Bürokratie sei ein großes Problem, zumal es für die Umsetzung immer neuer Berichtspflichten keine ausreichende Gegenfinanzierung gebe. Auch das über viele verschiedene Einrichtungen verteilte Team zusammenzuhalten, ist eine Aufgabe für die Zukunft. Vielleicht, so hoffen beide Frauen, kann dabei auch der Prozess helfen, bei dem sich das Nachbarschaftsheim Schöneberg nun ein Leitbild geben möchte.

Zu einem 75. Geburtstag gehören natürlich auch Geschenke. Das Nachbarschaftsheim hat sich selbst zum Jubiläum eine neue Webseite geschenkt und seinem großen Team eine Mitarbeiterfeier. „Das war ein tolles Fest, das hat sehr gut getan. Es war gut fürs Zusammengehörigkeitsgefühl. Davon wird bestimmt noch lange gesprochen werden“, ist sich Karen Lawerenz sicher. Was sie sich vom fast gleich alten Paritätischen Berlin für die Zukunft wünscht, kann Franzika Lichtenstein ad hoc sagen: „Eine pragmatische, proaktive Unterstützung für unsere Arbeit“.