•   Rubrik Gastbeitrag

Eine starke Stimme für soziale Gerechtigkeit

  • Autor Michael Müller
  • Veröffentlichungsdatum 25. April 2025
  • Lesezeit 6 Minuten

Soziale Gerechtigkeit ist das Fundament unserer Demokratie. Sie sorgt dafür, dass alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Einkommen oder Lebenslage – die gleichen Chancen auf ein würdevolles Leben haben. Berlin ist eine Stadt, die sich ständig wandelt. Sie ist dynamisch und vielfältig, aber auch mit wachsenden Herausforderungen für diese soziale Gerechtigkeit konfrontiert. Besonders in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, steigender Mieten und wachsender Ungleichheit wird deutlich, wie wichtig ein starker Sozialstaat und eine funktionierende Zivilgesellschaft sind.

Als ehemaliger Regierender Bürgermeister und Abgeordneter des Deutschen Bundestages habe ich die Entwicklungen in Berlin miterleben dürfen, Entscheidungen getroffen und zahlreiche Organisationen kennengelernt und erlebt, wie entscheidend starke Sozialverbände für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Einer der wichtigsten Akteure auf diesem Feld ist der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Denn trotz aller Herausforderungen gibt es vor allem dank der Arbeit des Paritätischen in Berlin eine tief verwurzelte Kultur der Solidarität. Der Paritätische prägt die Vielfalt und Offenheit unserer Stadtgesellschaft maßgeblich und unterstützt das lebendige Netzwerk aus Vereinen, Initiativen und engagierten Einzelpersonen, die sich tagtäglich für das Gemeinwohl einsetzen. Der Paritätische ist dabei oft die verbindende Kraft – eine Plattform, die Menschen und Organisationen zusammenbringt, um gemeinsam mehr zu erreichen.

Meine Verbindung zum Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin war immer von gegenseitigem Respekt und produktivem Austausch geprägt. Ich habe das soziale Berlin aktiv mitgestaltet und mich gemeinsam mit dem Paritätischen in Berlin für die soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Besonders wertvoll war für mich der direkte Austausch mit den vielen engagierten Menschen, die im Verband tätig sind. Sie haben nicht nur Probleme benannt, sondern auch Lösungen vorgeschlagen und damit einen entscheidenden Beitrag zur sozialen Entwicklung Berlins geleistet.

Schon früh in meiner politischen Laufbahn habe ich die Arbeit des Verbandes und seiner zahlreichen Mitgliedsorganisationen kennengelernt. Sei es bei der Unterstützung obdachloser Menschen, in der Arbeit mit Geflüchteten oder in der Begleitung von Menschen mit Behinderung – überall dort, wo Solidarität gefragt ist, ist der Paritätische Wohlfahrtsverband aktiv.

Kaum eine andere Organisation hat eine so umfassende Wirkung auf die soziale Infrastruktur unserer Stadt gehabt.

Michael Müller

In den vergangenen 75 Jahren hat der Paritätische so eine herausragende Rolle in der Berliner Soziallandschaft gespielt. Kaum eine andere Organisation hat eine so umfassende Wirkung auf die soziale Infrastruktur unserer Stadt gehabt. Besonders beeindruckend ist dabei die Vielfalt des Engagements: von der Kinder- und Jugendhilfe über die Altenpflege bis hin zu Gesundheits- und Behinderteneinrichtungen.

Diese breite Aufstellung hat es ermöglicht, sowohl in Krisenzeiten als auch im Alltag maßgeblich zur sozialen Stabilität Berlins beizutragen. In meiner Zeit als Regierender Bürgermeister habe ich den Paritätischen immer dann aufgesucht, wenn es sozialpolitischer Impulse bedurfte. Der Paritätische war dabei stets eine starke Stimme für soziale Gerechtigkeit und hat sich aktiv in politische Debatten eingebracht. Seine Analysen und Vorschläge waren oft wertvolle Anregungen für politische Entscheidungen.

Ob Wohnungslosigkeit, Armut oder soziale Isolation – der Verband hat konkrete Hilfe organisiert und so dazu beigetragen, dass niemand in unserer Stadt vergessen wird. Mit über 800 Mitgliedsorganisationen ist er eine Plattform für Austausch, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung – eine Stärke, die gerade in schwierigen Zeiten essenziell ist.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hilft dabei nicht nur Menschen in Not, sondern hat auch nachhaltig Einfluss auf die sozialpolitische Entwicklung Berlins. Viele der Fortschritte, die wir in den letzten Jahrzehnten in der Sozialpolitik erzielt haben, wären ohne seine Expertise und sein Engagement kaum denkbar gewesen.

Ein Beispiel hierfür ist die Wohnungspolitik. Denn bezahlbarer und angemessener Wohnraum wird sowohl in Städten als auch in ländlichen Regionen immer knapper. Besonders für Menschen in schwierigen Lebenslagen – etwa Menschen mit Behinderung, Geflüchtete, Wohnungslose, Rentnerinnen und Rentner oder Menschen in Armut – wird die Wohnraumsuche zur existenziellen Herausforderung.

Die Folgen dieser Entwicklung sind gravierend: Eingeschränkte Lebensqualität, fehlende gesellschaftliche Teilhabe und zunehmende Verdrängung prägen den Alltag vieler Betroffener. Auch soziale Einrichtungen, wie Frauenhäuser oder Träger der Eingliederungshilfe, geraten zunehmend unter Druck, da sie Menschen mit Betreuungsbedarf nicht mehr angemessen unterbringen können oder Mietverträge gekündigt werden.

Der Paritätische hat immer wieder auf die prekäre Lage vieler Menschen in unserer Stadt hingewiesen und macht sich für umfassende Maßnahmen stark – sei es durch Forderungen nach mehr sozialem Wohnungsbau oder durch konkrete Hilfsangebote wie Notunterkünfte und Beratungsstellen.

Auch in der Arbeit mit Geflüchteten spielt der Paritätische eine Schlüsselrolle. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin steht für eine vielfältige Gesellschaft ein, bei der alle Menschen unabhängig von Herkunft, Religion, politischer Überzeugung, Alter oder Geschlecht gleiche Rechte genießen.

Während politisch oft noch über Zuständigkeiten und Verfahren diskutiert wurde, haben die Organisationen unter dem Dach des Paritätischen in der Regel längst gehandelt.

Michael Müller

Mit Hilfe unterschiedlicher Publikationen, Stellungnahmen und Fachinformationen leistet der Verband einen entscheidenden Beitrag für die politische und fachliche Auseinandersetzung mit den Themen Migration und insbesondere der Integration Geflüchteter. Während politisch oft noch über Zuständigkeiten und Verfahren diskutiert wurde, haben die Organisationen unter dem Dach des Paritätischen in der Regel längst gehandelt: Unterkünfte geschaffen, Integrationsprogramme initiiert, Sprachkurse organisiert. Diese pragmatische, lösungsorientierte Herangehensweise hat vielen Menschen eine echte Perspektive gegeben.

Der Paritätische hat es geschafft, die Belange der freien Wohlfahrtspflege auf die politische Agenda zu setzen. Durch seine kontinuierliche Arbeit trägt er zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur in Berlin bei. Ein Beispiel ist die Veranstaltungsreihe „Zivilgesellschaft wirkt“, die in fast allen Bezirken erfolgreich etabliert wurde, um die Vernetzung zwischen Mitgliedern, Verwaltung und Kommunalpolitik zu stärken.

Auch im Bereich der Fachkräftesicherung leistet der Paritätische wertvolle Arbeit. Er unterstützt seine Mitglieder aktiv dabei, neue Fachkräfte zu gewinnen und auszubilden. Initiativen wie die Paritätische Akademie, Vernetzungsforen und neue Ausbildungsstätten sind wichtige Schritte, um die soziale Arbeit zukunftsfähig zu machen.

Die vergangenen Jahre haben uns aber auch eindrucksvoll gezeigt, dass sozialpolitische Herausforderungen nie endgültig gelöst sind – sie verändern sich und erfordern immer wieder neue Antworten.

Wir stehen als Stadt vor großen Aufgaben. Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum, die Erneuerung unserer Bildungseinrichtungen und die Verbesserung der Situation von Menschen in schwierigen Lebenslagen, wie Geflüchtete, Wohnungslose oder Alleinerziehende sind auch in Zukunft zentrale Themen in unserem Land und besonders unserer Stadt. Gleichzeitig wächst der Fachkräftemangel im Bereich der sozialen Arbeit. Pflegekräfte, Sozialarbeiter:innen und Erzieher:innen fehlen an allen Ecken und Enden – und das, obwohl der Bedarf stetig steigt.

Ich bin überzeugt und halte es daher für absolut notwendig, dass der Paritätische auch in Zukunft eine treibende Kraft für eine gerechte Gesellschaft sein wird. Denn ohne Organisationen wie den Paritätischen würde das soziale Netz unserer Stadt reißen.

Doch damit er diese Rolle auch in Zukunft ausfüllen kann, braucht es Unterstützung. Es liegt in unserer Verantwortung den Paritätischen Wohlfahrtsverband als unverzichtbares Fundament unseres Gemeinwohls anzuerkennen und angemessen zu unterstützen.

Nach vielen Jahren in der Politik blicke ich mit großer Dankbarkeit auf diese gute Zusammenarbeit in Berlin zurück. Die Menschen, die in diesem Verband arbeiten, sind das Rückgrat unseres sozialen Berlins. Ihr unermüdlicher Einsatz für die Schwächsten unserer Gesellschaft verdient höchsten Respekt und Anerkennung.

Ich wünsche dem Paritätischen für die kommenden Jahre weiterhin viel Erfolg, Kraft und Durchhaltevermögen. Möge er auch in Zukunft eine starke Stimme für die sein, die sonst oft überhört werden. Und möge Berlin auch weiterhin eine Stadt bleiben, in der Solidarität nicht nur ein Ideal, sondern gelebte Realität ist.

Michael Müller © Deutscher Bundestag
über den Autor

26 Jahre hat Michel Müller, 1964 in Berlin geboren, die Berliner Landespolitik mitgestaltet. Von 2014 bis 2021 war er Regierender Bürgermeister von Berlin. Von 2021 bis 2025 saß er als Abgeordneter für den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf im Deutschen Bundestag. Michael Müller ist seit 1981 Mitglied der SPD.