Wo Vielfalt normal ist
In der Kita Kastanienknirpse in Hellersdorf, die zum gemeinnützigen Träger pad – präventive, altersübergreifende Dienste im sozialen Bereich gehört, ist Vielfalt mehr als ein Schlagwort – sie ist der Kern des Kita-Alltags. Im Eingangsbereich stellt sich auf Fotos das Team der Erzieherinnen und Erzieher vor: 19 Mitarbeitende aus sieben verschiedenen Nationen, darunter Afghanistan, Rumänien, Brasilien, Vietnam und die Ukraine. In der Elternecke warten Bücher in Russisch, Arabisch, Türkisch, Persisch, Englisch, Französisch auf neugierige Augen und Ohren. Die Weltkarte an der Wand ist ein besonderer Blickfang: Bunte Fähnchen markieren die vielen verschiedenen Herkunftsländer der 70 Kinder, die hier betreut werden.
„70 Prozent unserer Kinder sind anderssprachig“, sagt Jette Lopacz, die Leiterin der Kita. Die Kinder und ihre Familien stammen aus der Ukraine, Russland, Polen, Indien, Rumänien, Kurdistan und vielen anderen Ländern. „Die Vielfalt der Herkunft und Sprachen unserer Mitarbeitenden und der Kinder ist für uns normal. Im Kita-Alltag nutzen wir die kulturelle Vielfalt als Chance“, so Lopacz. „Erfahren die Kinder in der Kita die Vielfalt an Sprachen, Herkunft und Kulturen als Normalität, kann dies im späteren Leben ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags werden.“
Die Kita Kastanienknirpse ist auch eine der acht Berliner Modellkitas für die Integration und Inklusion von Kindern mit Fluchterfahrungen. Viele der betreuten Kinder stammen aus Familien, die ihre Heimat aufgrund von Konflikten oder schwierigen Lebensbedingungen verlassen mussten. Die Fachkräfte der Kita stehen dabei vor großen Herausforderungen: Wie gelingt die Zusammenarbeit mit Eltern, die die deutsche Sprache kaum sprechen? Wie können unterschiedliche Familienkulturen in den Kita-Alltag integriert werden?
„Kinder, die aufgrund von traumatischen Erlebnissen belastet sind, brauchen eine besonders intensive Bindung zu ihren Bezugserzieherinnen und -erziehern“, erklärt Lopacz, die nicht nur Facherzieherin für Sprachförderung ist, sondern auch Traumapädagogin.
„Ein weiterer Schlüssel für eine gelingende Integration ist die Sprachförderung“, betont Nikolas Dornblut, der stellvertretende Leiter der Kita. „Wir ermuntern die Kinder dazu, beim Spielen in ihrer Muttersprache zu sprechen. Das fördert ihr Selbstbewusstsein und ihre Identitätsentwicklung. Gleichzeitig fördern wir die deutsche Sprache im Kita-Alltag und bei gemeinsamen Aktivitäten wie den Mahlzeiten.“
Mit dem Projekt „Dolpäp — Dolmetschen im pädagogischen Prozess“ unterstützt der Berliner Senat bei der Kommunikation zwischen Familien mit Fluchthintergrund und pädagogischen Fachkräften. Die Sprachmittlerinnen und Sprachmittler haben meist selbst einen Migrationshintergrund, und sie studieren Soziale Arbeit an der nahe gelegenen Alice Salomon Hochschule. „Sie verstehen die kulturellen Unterschiede, aber auch die pädagogischen Zusammenhänge. Das ist ein ganz großer Gewinn für uns“, freut sich Lopacz.
Es ist wichtig, dass die Kinder spüren, dass ihre Meinung zählt. Sie sollen erleben, dass sie etwas bewirken können – das ist der Kern von Demokratie.
Ein weiteres Herzstück der pädagogischen Arbeit ist die Förderung von Partizipation und Selbstbestimmung. Im Rahmen des Projekts „Kinderleicht – Kinderstark“ von Save the Children e.V. gestalteten die Kinder der Kita Kastanienknirpse einen Ort für Worte, einen Rückzugsort, in dem sie sich mitteilen und zur Ruhe kommen können. „Es ist wichtig, dass die Kinder spüren, dass ihre Meinung zählt. Sie sollen erleben, dass sie etwas bewirken können – das ist der Kern von Demokratie“, sagt Dornblut.
Demokratische Werte werden auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern gelebt. Eltern können hospitieren und die Kindergruppen auf Ausflügen begleiten. Über die Kita-Info-App erhalten die Eltern Informationen über den Kita-Alltag und die Entwicklung ihrer Kinder. „Eine offene Kommunikation ist uns wichtig. Nur so können wir Vertrauen aufbauen und gemeinsam für die Kinder die besten Voraussetzungen schaffen“, betont Dornblut.
Diese Offenheit zeigt sich auch in der Wertschätzung der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Kinder und ihrer Familien. In der Kita werden Feste wie das vietnamesische Neujahrsfest, das indische Ganesha-Fest oder der Ramadan gefeiert, zu denen die Eltern landestypische Speisen mitbringen. „Gemeinsame Feste fördern den Austausch und zeigen den Kindern, dass ihre Kultur hier willkommen ist“, erklärt Lopacz. „Geburtstagslieder singen wir in der jeweiligen Landessprache des Kindes. So fühlt sich das Kind angenommen und kann Vertrauen fassen.“
Doch es gibt auch Herausforderungen. „Manchmal sind die Unterschiede nicht sofort verständlich“, erzählt Lopacz. „Beispielsweise sprechen rumänische Väter oft lieber mit einem männlichen Erzieher über ihr Kind. Das hat mich anfangs irritiert. Aber dann habe ich nachgefragt und verstanden, dass es Ausdruck einer kulturellen Norm ist.“ Solche Erfahrungen, betont sie, lehren das gesamte Team, sensibel mit verschiedenen kulturellen Hintergründen umzugehen.
Trotz aller Schwierigkeiten sind sich Lopacz und Dornblut sicher, dass ihre Arbeit wichtig ist: „Wenn Kinder hier lernen, dass Vielfalt normal ist, dass unterschiedliche Kulturen und Sprachen nebeneinander existieren können und dass ihre Stimme zählt – dann nehmen sie diese Werte mit in die Schule und ins Leben. Das ist gelebte Demokratie.“
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übrigens
Seit 2017 gibt es ein gemeinsames Projekt des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, dem Bundesverband für Kindertagespflege und der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ), das Demokratiebildung in Kitas fördert und sich dafür einsetzt, eine Vielfalt an demokratischen Werten bereits im frühen Kindesalter zu vermitteln. Es heißt „Partizipation und Demokratiebildung in der Kindertagesbetreuung“.
Schon die Kleinsten sollen erleben, was Demokratie im Alltag ist, zum Beispiel wie man gemeinsame Entscheidungen trifft.
Mit digitalen Schulungen und Praxisdialogen unterstützt das Projekt pädagogische Fachkräfte, Fachberatende und Kindertagespflegepersonen.
Mithilfe einer bundesweiten Onlineumfrage zur Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen konnte ein klares Bild von Angeboten, Bedürfnissen und Herausforderungen gewonnen werden. Themen der Umfrage sind:
Aktuelle Angebote: Was gibt es an Demokratieprojekten in Kitas und wie werden diese genutzt?
Bedarfe und Herausforderungen: Was brauchen Fachkräfte, um Demokratiebildung gut umzusetzen? Welche Schwierigkeiten gibt es?
Wirkungen und Perspektiven: Wie wirken sich die aktuellen Angebote auf die Kinder und die pädagogische Arbeit aus? Was könnte verbessert werden?
Die Ergebnisse der 2137 Umfrageteilnehmenden fließen in Empfehlungen und Maßnahmen ein, die die Qualität der Bildungsangebote verbessern sollen.