•   Rubrik Themenbeitrag

Demokratiefeindlichkeit begegnen

  • Autor Milena Müller
  • Veröffentlichungsdatum 05. November 2024
  • Lesezeit 7 Minuten

Die Mondlandung 1969? Hat nie stattgefunden. Die Terroranschläge von 9/11? Ein Plan der US-Regierung. Die Impfungen gegen das Corona-Virus? Eigentlich Mikrochip-Implantationen zugunsten von Bill Gates. Verschwörungserzählungen sind uns allen schon einmal begegnet – in der Kantine, auf einer Familienfeier oder in unserem Facebook-Feed.

Oft werden sie achselzuckend abgetan. Doch wer genau hinsieht, stellt schnell fest: Viele Verschwörungserzählungen erzeugen Feindbilder. Sie sind mitunter menschenfeindlich und antidemokratisch. Einer, der genau hinsieht, ist Tobias Meilicke. Er ist Geschäftsführer des Interdisziplinären Zentrums für Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung und Experte für Verschwörungserzählungen. „Misstrauen gegen staatliche Institutionen und allem, was vermeintlich Mainstream ist, ist zentraler Bestandteil der meisten Verschwörungsmythen“, erklärt er. „Und wenn sich Verschwörungsgläubige aus dem System, dem sie misstrauen, zurückziehen, indem sie zum Beispiel nicht mehr an Wahlen teilnehmen oder rechtsextreme Parteien wählen, dann gefährdet das unsere Demokratie.“

Die Verbreitung von Verschwörungsmythen wurde während der Corona-Pandemie besonders sichtbar © Unsplash

Die Gründe, weshalb Verschwörungserzählungen Glauben geschenkt wird, sind vielfältig. Oft spielen Unsicherheit und das Gefühl von Ohnmacht – das zum Beispiel aus komplexen Krisen wie Krieg oder Klimawandel resultieren kann – eine entscheidende Rolle. Verschwörungserzählungen vereinfachen komplizierte Sachverhalte und machen die Welt scheinbar übersichtlicher. Es ist wenig verwunderlich, dass ausgerechnet in der Corona-Pandemie sichtbar wurde, wie verbreitet Verschwörungsmythen sind.

Eine große Herausforderung für unsere demokratische Gesellschaft

Im August 2020 haben rund 400 Menschen, darunter Rechtsextreme und Verschwörungsideolog*innen, versucht, den Reichstag zu stürmen. 2021 wurde die Gründung der sogenannten „Patriotischen Union“ aufgedeckt – eine mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe, die unter anderem dem verschwörungsideologisch geprägten Reichsbürger*innenmilieu zugeordnet wird.

Selbstverständlich sind nicht alle Verschwörungsgläubige gewaltbereit oder rechtsextrem, aber Verschwörungserzählungen können Brandbeschleuniger für Radikalisierungsprozesse sein.

Tobias Meilicke, IZRDFoto: Milena Müller

Beispiele wie diese machen deutlich, dass von Verschwörungsgläubigen durchaus eine Gefahr für die Demokratie ausgehen kann. „Selbstverständlich sind nicht alle Verschwörungsgläubige gewaltbereit oder rechtsextrem“, betont Tobias Meilicke, „aber Verschwörungserzählungen können Brandbeschleuniger für Radikalisierungsprozesse sein." Und das lässt sich so erklären: Die meisten Verschwörungserzählungen drehen sich um eine vermeintliche Bedrohung von außen – sei es die Bedrohung durch eine korrupte Elite, durch öffentlich-rechtliche Medien, durch Geflüchtete. Und wer sich bedroht fühlt, so Meilicke, neige eher dazu, Gewalt zu legitimieren oder auszuüben.

Dass zwischen Verschwörungsglauben und rechtsextremer Ideologie ein enger Zusammenhang besteht, bestätigt auch Berit Schröder. Sie arbeitet bei der Fach- und Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt und Demokratie [moskito] in Pankow, einem Projekt von Pfefferwerk Stadtkultur. „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bedienen sich an Verschwörungserzählungen. Und Desinformationen werden gezielt eingesetzt“, sagt sie. Im Moment ließe sich das in Pankow beispielsweise an der rechtsextremen Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ beobachten. Die Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“, wonach eine geheime Elite darauf hinarbeite, die weiße, christliche Bevölkerung durch nicht-weiße, insbesondere muslimische eingewanderte Menschen zu ersetzen, ist eine Grundidee der Extremen Rechte.

Von wirksamen Gegenstrategien

Was also tun? Seit 2021 gibt es veritas, eine Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen. Sie gehört zum Interdisziplinären Zentrum für Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung. Meistens sind es Eheleute, Kinder, Bekannte oder Arbeitskolleg*innen von Verschwörungsgläubigen, die sich hilfesuchend an Tobias Meilicke und sein Team wenden. Wenn sie über die Schwelle des Beratungszimmers im Kreuzberger Wrangelkiez treten, ist ihr Leidensdruck oft schon so hoch, dass sie bereits einen Kontaktabbruch in Erwägung ziehen.

Erst einmal gehe es darum, diese Menschen zu stabilisieren, berichtet Tobias Meilicke. Dann erarbeiten Meilicke und sein Team gemeinsam mit den Klient*innen Strategien, die dabei helfen können, die Beziehung zu den Verschwörungsgläubigen aufrecht zu erhalten. „Partner, Schwester oder bester Schulfreund sind oft die einzigen, zu denen Verschwörungsgläubige außerhalb ihres ideologischen Umfelds noch ein vertrauensvolles Verhältnis haben“, so Meilicke. „Wir sehen, dass sich Verschwörungsgläubige, die mit ihren Angehörigen im Gespräch bleiben, mittelfristig nicht nur von Gewaltbereitschaft distanzieren, sondern meistens auch von rassistischen oder antisemitischen Verschwörungsideologien.“

Das Angebot von veritas richtet sich nicht nur an Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Tobias Meilicke und sein Team beraten auch Fachkräfte. Zum Beispiel ärztliches Personal, das mit verschwörungsgläubigen Patient*innen zu tun hat. Oder Mitarbeitende in der Jugendhilfe, denen sich Jugendliche anvertrauen, wenn sie in ihrem Umfeld mit Verschwörungserzählungen in Berührung kommen.

Und nicht zuletzt geht es ihnen auch darum, die, die sich vom Verschwörungsglauben abwenden, dabei zu unterstützen, in die Gesellschaft zurückzufinden. „Oft sind das Menschen, die mit Konsequenzen wie Scham, Isolierung und Konflikten mit Behörden zu tun haben. Die Hürde, sich dann Hilfe zu suchen, ist hoch“, so Tobias Meilicke. „Umso wichtiger ist es, dass wir Verschwörungsgläubige nicht stigmatisieren, ihre Überzeugung nicht als ‚Geschwurbel‘ abtun oder sie gar auslachen. Daran müssen wir als Gesellschaft arbeiten.“

Die Akteurinnen und Akteure, die wir begleiten und zusammenbringen, wollen alle das Gleiche: Vielfalt und Demokratie im Bezirk sichtbar machen und rechte Präsenz zurückdrängen. Und das gelingt gemeinsam besser als allein.

Berit Schröder, Fach- und Netzwerkstelle [moskito]Foto: S. Boßmeyer

Die Arbeit der Fach- und Netzwerkstelle [moskito] zielt vor allem darauf ab, diejenigen zu stärken und miteinander zu vernetzen, die sich in Pankow für ein solidarisches, vielfältiges Zusammenleben und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Das können migrantische Organisationen sein, Einzelpersonen oder Nachbarschaftsinitiativen. Das können Menschen sein, die selbst Diskriminierung erfahren und sich dagegen wehren wollen, ebenso wie Menschen, die Zeug*innen von Diskriminierungen werden und sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen möchten. „Die Akteurinnen und Akteure, die wir begleiten und zusammenbringen, wollen alle das Gleiche: Vielfalt und Demokratie im Bezirk sichtbar machen und rechte Präsenz zurückdrängen“, erklärt Berit Schröder. „Und das gelingt gemeinsam besser als allein.“

Politische Bildungsarbeit ist ein weiterer Schwerpunkt von [moskito]. Gemeinsam mit sozialen Trägern oder anderen Institutionen bieten Berit Schröder und ihre Kolleg*innen zum Beispiel Argumentationstrainings an oder Seminare zu Zivilcourage. Wie reagiere ich, wenn ich in der U-Bahn höre, dass meine Sitznachbarin rassistisch beleidigt wird? Was tun, wenn sich mein Mitschüler antisemitisch äußert? Wie kann ich mit meinem Gegenüber im Gespräch bleiben, wenn es sich über Obdachlose lustig macht? Wie kann ich mit meinem Gegenüber im Gespräch bleiben, obwohl sich unsere Haltungen grundlegend voneinander unterscheiden?

Und dann ist da noch das Berliner Register – ein Projekt, das berlinweit menschenverachtende Vorfälle dokumentiert. Bürger*innen kontaktieren die Meldestelle im jeweiligen Bezirk, wenn sie etwas sehen oder beobachten – zum Beispiel rechtsextreme Sticker oder queerfeindliche Angriffe. In Pankow, wo das Berliner Register 2005 ins Leben gerufen wurde, ist [moskito] die Meldestelle.

Berit Schröder und ihre Kolleg*innen prüfen die eingehenden Meldungen und veröffentlichen sie dann in einer Onlinechronik. Einmal im Jahr werden die Vorfälle ausgewertet. Die Dokumentation und Auswertung, so Berit Schröder, zeigten auf vielen Ebenen Wirkung. Wer die Vorfälle meldet, stellt fest, dass es Möglichkeiten gibt, aktiv zu werden. Das sei auch ein wichtiges Signal an diejenigen, die einen Vorfall nicht selbst melden, davon aber betroffen sind. Politik und Verwaltung, aber auch politisch engagierte Initiativen beziehen die Ergebnisse des Berliner Registers in ihre Strategie gegen Diskriminierung ein. „Uns helfen die Dokumentation und Auswertung der Vorfälle dabei“, so Schröder, „beispielsweise rechtsextreme Dynamiken im Bezirk zu beobachten und Sozialräume auszumachen, in denen besonderer Handlungsbedarf besteht.“

Vernetzung, Argumentationstraining, Dokumentation – bei all dem gehe es, so Berit Schröder, vor allem um eines: Selbstwirksamkeit. „Dass sich Menschen, die aktiv sein wollen, als handlungsfähig erfahren, ist enorm wichtig. Ich glaube, das ist ein Schlüssel zum Erfolg im Kampf gegen antidemokratische Kräfte“, sagt sie.

Eine offene, solidarische Gesellschaft, in der menschenfeindliche Ansichten keinen Platz haben – es gibt viele, unterschiedliche Ideen, das zu realisieren. Radikalisierung vorbeugen bei Verschwörungsgläubigen oder jene stärken, die Ausgrenzung, Diskriminierung und rechte Hetze in ihrem Kiez zurückdrängen wollen, das sind in jedem Fall wichtige und vielversprechende Maßnahmen.

übrigens

  • Ob im Jugendamt, in der Altenpflege oder in der Straffälligenhilfe – Fachkräfte und Organisationen, die im Arbeits- oder Ehrenamtskontext mit Verschwörungsgläubigen zu tun haben, können sich mit ihren Fragen und Gedanken auf Wunsch sogar anonym an veritas wenden. Das Angebot von veritas ist kostenlos.

übrigens

  • Auf der Website, per Telefon, per Sprachnachricht, in einer App, sogar per Post – es gibt viele Möglichkeiten, Diskriminierung oder rechtsextreme Vorfälle an das Berliner Register zu melden. Du kannst in deinem Bezirk auch persönlich in einer Registerstelle vorbeikommen.