Wohnraum in Berlin unter Druck – soziale Träger zeigen, was Berlin jetzt braucht

Bezahlbarer Wohnraum wird in Berlin immer knapper – besonders für Menschen, die auf Betreutes Wohnen angewiesen sind. Steigende Mieten, ein überlasteter Wohnungsmarkt und fehlende politische Unterstützung bringen soziale Träger an ihre Grenzen.
Um auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen, hat der Paritätische Berlin eine Tour durch soziale Einrichtungen in Berlin organisiert, die Wohnangebote für Menschen mit Unterstützungsbedarf schaffen. Ziel war, den teilnehmenden Vertreter*innen von Medien und Politik zu zeigen, welche guten Projekte es bereits gibt – und für welche Probleme dringend Lösungen gefunden werden müssen.
“Wenn Träger Wohnraum anbieten, finden sie sich in einem komplexen rechtlichen Verhältnis zwischen verschiedenen Gesetzbüchern und Verordnungen”, erklärte Daniela Radlbeck, Referentin für Wohnungsnotfallhilfe und Wohnungspolitik, bei der Begrüßung der Teilnehmenden. Die größte Herausforderung für die Träger liege aber darin, überhaupt bezahlbaren Wohnraum zu finden, den sie an Klientinnen und Klienten vermieten können - und das möglichst im Zentrum der Stadt. “Wir als Verband der Vielfalt setzen uns dafür ein, dass die Stadt weiterhin inklusiv bleibt, dass auch Menschen mit Unterstützungsbedarf weiterhin in der Stadt wohnen können und nicht verdrängt werden."
Um dies zu ermöglichen, arbeiten Träger unter anderem mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften zusammen, aber auch mit privaten Vermieterinnen und Vermietern sowie mit Investoren, um gemeinsame Bauprojekte zu verwirklichen. “Für Investoren kann es attraktiv sein, Wohnraum an soziale Träger zu vergeben. Die Mieten sind gesichert und es gibt zuverlässige Ansprechpersonen”, erklärt Klaus Peter Dilger, Geschäftsführer Jugendwohnen im Kiez.
Unter Paritätischem Dach haben sich mittlerweile 21 Organisationen zu einer Genossenschaft, der Genius Wohnbau eG zusammengeschlossen, um vereint langfristig bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Hilfebedarf zu schaffen - beispielsweise indem sie sich gemeinsam auf landeseigene Grundstücke bewerben, oder als Generalmieter, wie bei der ersten Station der Erkundungstour.
Mit dem Bus ging es zu einer Wohngemeinschaft von Jugendwohnen im Kiez in Reinickendorf. Hier leben Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren, die zuhause nicht mehr wohnen können - zum Beispiel, weil sie dort Gewalt erlebt haben oder mit ihren Eltern nicht mehr klarkommen. In der WG bekommen sie Unterstützung, um ihren Alltag zu meistern und beispielsweise eine Ausbildung zu finden. Die Sozialarbeiter*innen unterstützen auch bei der Suche nach einer eigenen Wohnung - eine Aufgabe, die in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist. “Die Wohnungsnot schafft viel Unsicherheit und macht es den Jugendlichen schwer, sich auf ihren Alltag zu konzentrieren”, berichtete eine Betreuerin.
Zwei Careleaver, junge Menschen, die bis vor kurzem in Einrichtungen des Trägers gewohnt haben, erzählten von ihren Schwierigkeiten mit der Wohnungssuche in Berlin. "Man muss Vermieter finden, die jungen Menschen helfen wollen. Anders hat man keine Chance auf eine eigene Wohnung”, so der junge Mann, der über eineinhalb Jahre auf Wohnungssuche war.
Next Stopp Invalidenstraße: Unweit des Hauptbahnhofs befindet sich der Wohnverbund Tiergarten, ein Angebot des Unionhilfswerk. Die Einrichtung erzählt ein Stück Berliner Sozialgeschichte: Seit Anfang der 1990er Jahre leben hier Menschen mit psychischen Erkrankungen und kognitiven Beeinträchtigungen. Im Zuge der Psychiatriereform und der damit verbundenen Enthospitalisierung wurden Krankenhausbetten abgeschafft und Wohnungen in der Innenstadt angemietet. Das Ziel war und ist bis heute gesellschaftliche Inklusion: Auch Menschen mit hohen Unterstützungsbedarfen sollen nicht am Rand, sondern mittendrin leben können, mitten in der Stadt, im normalen Wohnumfeld, als Teil des Gemeinwesens.
In der Silbersteinstraße in Berlin-Neukölln schließlich trafen die Teilnehmenden schließlich Dieter, einen der ca. 55.000 wohnungslosen Menschen in Berlin. Nach einem halben Leben auf der Straße, nach Haftstrafen und Unterbringung in Obdachlosenunterkünften, wohnt der 72-jährige seit April in einer der 18 Wohnungen eines frisch sanierten Altbaus, den der Träger in Kooperation mit der Gewobag und dem Bezirksamt Neukölln angemietet hat. Die mithilfe GmbH betreut wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen – mit einem besonderen Fokus auf ältere Menschen und Familien. Neben 14 Einzelwohnungen stehen vier Zwei-Zimmer-Wohnungen für Familien zur Verfügung.
Dieter ist froh, den Zuständen in der Obdachlosenunterkunft vorerst entkommen zu sein. Doch das Wohnprojekt bietet keine Dauerlösung, es ist als vorübergehende Unterbringung gedacht, in der Menschen durch sozialarbeiterische Unterstützung stabilisiert werden sollen, um perspektivisch in eigenen Wohnraum vermittelt werden zu können. Doch gerade das gelingt in der Praxis nur selten. Wenn Klient*innen nicht kooperieren oder Voraussetzungen nicht erfüllen, muss die Betreuung beendet werden, was alle Beteiligten in schwierige, oft unauflösbare Situationen bringt.
Die Einrichtung in der Silbersteinstraße zeigt, was möglich ist, wenn Bezirk, Wohnungswirtschaft und Träger an einem Strang ziehen. Das Projekt schafft Schutzräume, Stabilität und Perspektiven für Menschen, die aus allen sozialen Netzen rausgefallen sind. Dennoch geht auch in diesem Modellprojekt der Träger eine hohes finanzielles Risiko ein und muss neben der sozialen Verantwortung auch juristische Sorgfalt übernehmen, um ihre Klientinnen und Klienten zu schützen und selbst rechtlich abgesichert zu handeln. Es braucht dringend bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen, die sozialen Wohnraum nicht nur ermöglichen, sondern langfristig sichern.
Die Tour durch verschiedene Einrichtungen in ganz Berlin hat eindrücklich gezeigt: Trägerwohnungen sind ein unverzichtbarer Bestandteil der sozialen Infrastruktur. Sie bieten Schutz, Stabilität und Teilhabe – für Jugendliche aus belasteten Lebenslagen, für Menschen mit Behinderungen oder für ehemals Wohnungslose. Wohnraum zu schaffen, ist eine gesellschaftliche Schlüsselaufgabe, die nur gemeinsam gelöst werden kann. Für ein Berlin, das niemanden zurücklässt.
Kontakt beim Paritätischen Berlin

Daniela Radlbeck
E-Mail: radlbeck[at]paritaet-berlin.de

Christine Göttert
E-Mail: goettert[at]paritaet-berlin.de

Uwe Brohl-Zubert
E-Mail: brohl-zubert[at]paritaet-berlin.de