"Ich fühlte mich verantwortlich dafür, das Schweigen zu brechen"
Lesung aus "Annas Spuren" zum Thema NS-"Euthanasie"
Sigrid Falkenstein, Jg. 1946, ist eine Nichte von Anna Lehnkering, die 1940 mit der vermeintlichen Diagnose „Angeborener Schwachsinn“ ein Opfer der NS-Euthanasie wurde. Am 11. September 2024 liest Sigrid Falkenstein bei einer öffentlichen Veranstaltung aus dem Buch „Annas Spuren“, in dem sie eindrucksvoll das Schicksal ihrer Verwandten schildert. In dem 2012 erschienenen Bich zeichnet sie Annas tragischen Lebensweg nach und macht dabei gemeinsam mit dem Psychiater Frank Schneider bewusst: Annas Schicksal steht exemplarisch für ein grauen-volles Verbrechen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, den Massenmord an Hunderttausenden psychisch kranken, geistig oder körperlich behinderten Menschen.
Ambulante dienste e.V. lädt ein zur
Veranstaltung mit Sigrid Falkenstein
am Mittwoch, den 11. September 2024 um 18.30 Uhr
im Aquarium, Skalitzer Straße 6, Berlin-Kreuzberg (am Kottbusser Tor)
Sigrid Falkenstein war maßgeblich am Zustandekommen eines Runden Tisches beteiligt, der dazu führte, dass am 2. September 2014 der zentrale Gedenkort zentrale Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde an der Berliner Tiergartenstraße 4 eingeweiht wurde.
Sigrid Falkenstein wurde Ansprechpartnerin für Angehörige anderer Opfer, hielt Vorträge, machte Lesungen, sprach in Schulklassen und beteiligte sich an verschiedenen zivil-gesellschaftlichen Aktivitäten. Sie trug mit ihrer Erinnerungsarbeit dazu bei, dass die Themen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation im Nationalsozialismus inzwischen eine breite Öffentlichkeit erreicht haben.
„Ich finde es wichtig, Geschichten wie die von Anna zu erzählen, denn es sind meiner Meinung nach Einzelschicksale, die jenseits anonymer Zahlenkolonnen Geschichte begreifbar machen. Wir können, wir müssen aus der Geschichte lernen, denn die alten Denkmuster von Ausgrenzung und Diskriminierung, rassistische Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Minderheiten existieren nach wie vor. Der Mensch als Gegenstand ökonomischer Kosten-Nutzen-Rechnung, das sind Formen der Abwertung, auf die wir auch heute achten müssen. Vielleicht fassen die Worte von Max Mannheimer gut zusammen, was mich antreibt: ‚Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.‘“ Falkenstein: „Ich fühlte mich verantwortlich dafür, das Schweigen zu brechen.“ Die Diagnose lautete: "Angeborener Schwachsinn". Das war Annas Todesurteil, 1940 wurde sie in der Gaskammer von Grafeneck im Sinne der nationalsozialistischen Rassen- und Erbhygiene ermordet. Ihre Familie löschte die Erinnerung an sie aus – bis ihre Nichte Sigrid Falkenstein nachzuforschen begann.